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Die Siechenmagd

28. April, 2023 um 18:08 Uhr, Keine Kommentare

Wie aus einer Doktorarbeit ein Roman wurde. So könnte die Story auch beginnen. Ursula Neeb war anscheinend so inspiriert vom Thema Mittelalter in Frankfurt, dass ihr dazu ein wunderbarer Roman eingefallen ist und sie den Doktortitel erst mal sausen lässt. Dafür bekommen die Liebhaber des historischen Romans die Geschichte der „Siechenmagd“ serviert. Er spielt hauptsächlich in Frankfurt und beginnt im Jahr 1506, einer Zeit, in der die Pest, Lepra, Hunger und Armut eine wesentliche Bedeutung haben. Ihr Schreibstil ist einfühlsam und fließend, schnell bin ich in der Geschichte und will gar nicht mehr aufhören zu lesen.

Mäu, erst 15-jährig und voller Lebenshunger, träumt davon ein besseres Leben zu führen als ihre Eltern und Ahnen. Doch das wird schwer, ist sie doch die Tochter des städtischen Abdeckers, eines Mannes, der weder berührt werden darf von der gemeinen Bevölkerung, noch Freundschaften pflegen kann außer mit seinesgleichen. Gemieden und doch gebraucht, ist er dafür zuständig die Aborte zu lehren, Hunde zu jagen, die Erhängten zu verscharren und viele andere undankbare Aufgaben zu erledigen. Einmal in so eine Familie hineingeboren, hat der älteste Sohn diese Arbeit zu übernehmen und die Tochter in eine andere Abdeckerfamilie einzuheiraten. Doch der Gestank abgezogener Hunde, der Aborte, die harte Arbeit, die Mäu kaum Zeit lassen, um sich mit schönerem zu beschäftigen, und die Abgeschiedenheit, weit weg von Frankfurt am Rande des Flusses leben zu müssen, lässt sie schier verzweifeln. Bei einer weiteren Hinrichtung lernt sie einen Flugblatthändler kennen, mit dem sie am liebsten weiterziehen würde, aber das geht nun mal nicht. Es gab zu dieser Zeit nicht viele, die des Lesens und Schreibens mächtig waren, so waren die Flugblatthändler gern gesehen, brachten sie doch Nachrichten aus vielen Gebieten mit, die sie sonst niemals bekämen.

Die Autorin bringt uns in diesen ersten Seiten viel über die damalige Zeit bei, all die vergessenen Berufe, die entsprechenden Kleidungsstücke, wer mit wem verkehren durfte und vieles mehr. Wir lernen einen Bettelvogt kennen, der mit seinen Bütteln an der Stadtmauer in Nischen wohnt, ebenso wie den Schundmummel, oder den Relequienhändel und die Hübscherin, die im Frauenhaus wohnt. Die Muhme (Tante) von Mäu ist eine Hübscherin, die sich nicht verheiraten lassen wollte und ihren Unterhalt lieber auf ihre Weise verdienen wollte.

Die Mutter von Mäu arbeitet als Magd im Leprösenheim auch Gutleuthof genannt, um bei einem Siechen ihrem Dienst nachzugehen. In dieses Heim mussten alle, ob arm oder reich, die von einer Prüfkommission bestätigt bekommen hatten, dass sie an Lepra erkrankt waren. Abgeschieden von allen Menschen, die Frankfurt nur an Karfreitag in speziellen Kostümen zum betteln betreten durften, konnten sich aber die Reichen unter ihnen eine Magd leisten, die bestens bezahlt wurden.

Auch Mäu, so will es die Mutter, soll nun bei einem neuen Siechen ihren Dienst antreten, denn das Gewerbe des Vaters reicht vorne und hinten nicht zum leben. Mäu wehrt sich zunächst, probiert es aber aus. Als sie sich jedoch in einen Bettler verliebt, mit ihm über das Land ziehen will, wird sie von allen Seiten gestoppt. Der Vater verkauft sie regelrecht an den Siechen, dem sie als Magd dient und ist diesem nun ausgeliefert. Als Freundin dient ihr nur die Ehefrau eines anderen Siechen, die ihrem Ehemann ins Leprosorium gefolgt ist. Diese ist abhängig vom Theriak, ein zum damaligen Zeitpunkt gerne als Universalmittel genommenes Rauschmittel, bei dem auch Opium eines der Bestandteile von ungefähr 70 anderen war. Die Szenen, in der die Autorin beschreibt, wie die Freundin von Mäu nach Einnahme des Tranks auf ein Bild von Hieronymus Bosch schaut und dabei Wahnvorstellungen bekommt, das ist schaurig. Ich habe mir beim Lesen dieses Bild direkt im Internet angeschaut.

Die Situation eskaliert, als Mäu sich gegen die wiederholten Annäherungsversuche des Siechen wehrt. Sie muss fliehen, versucht ihre Verfolger abzuschütteln, findet Freunde in der Not. Neeb begleitet nun die Magd in ihren schwersten Stunden. Was folgt ist die Beschreibung des wahren Grauens dieser Zeit im zweiten Teil dieses Romans, nicht weniger ergreifend, als der erste Teil des Buches. Ein gelungener Debütroman. Die Autorin hat bereits weitere historische Bücher und auch Kriminalromane, sie spielen um die Zeit 1835 ebenfalls in Frankfurt, geschrieben.


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