Immunbooster Atmen
In aller Munde scheint dieser Tage das Wort Booster zu sein. Es bedeutet so viel wie antreiben, nachhelfen, anstoßen. Immunbooster also sollen unser Immunsystem dazu verhelfen, sich zu verstärken, verbessern, einfach gut zu werden. Thomas Rampp nun hat sich in einem kleinen Werk zum Thema Immunbooster dem „Atmen“ gewidmet.
Mit einfühlsamen und klaren Worten sowie gut strukturierten Sätzen und Kapiteln führt uns Dr. med. Thomas Rampp ins Thema ein. Atmen, das, so denken wir, passiert doch automatisch, was müssen wir da groß beachten. Doch sobald wir unseren ersten Atemzug tätigen passieren unglaubliche Dinge in unserem Körper. Die Nase, die Lunge, das Herz, alles hängt davon ab, wie wir atmen. Und auch was, wie viel und wie oft. Stehen wir ständig unter negativem Stress oder erfahren wir beängstigte Situationen? Wann bemerken wir, dass wir sozusagen falsch atmen? Zu heftig, zu flach?
Beim Sport erleben wir durch das sogenannte Seitenstechen, dass wir wohl falsch atmen. Werden wir wütend, atmen wir heftiger und unkontrolliert. Atme tief durch, heißt es oft, komm erst mal runter. Doch wie macht man sich das selbst bewusst? Der Autor erklärt uns, welche chemischen Abläufe entstehen, welche Ursachen zu welchen Erkrankungen führen können. Selbstverständlich ist eine gesunde Ernährung und ein gutes Trinkverhalten das A und O für eine Gesundung für Körper und Geist.
Wir können viel falsch machen, beim Atmen aber durch ein ständiges Training bestimmter Atemtechniken können wir dem Körper helfen, ruhiger, gleichmäßiger und tiefer zu atmen. Und dadurch mehr Sauerstoff aufnehmen, um zum Beispiel Stress abzubauen. Dadurch lernen wir ganz nebenbei auch Meditationstechniken, die uns in schwierigen Situationen helfen, ruhiger, gelassener zu werden und zu bleiben. Wo überall merken wir im Körper unsere Atmung? Lassen wir unsere Einatmung mal bewusst nur im oberen Brustkorb zu, was passiert denn da? Wenn wir verschiedene Sitzpositionen einnehmen oder bestimmte Muskelpartien anspannen?
Sogar Übungen mit und für Kinder sind dabei, die viel Spaß bringen können. Von diesen Atemübungen gibt es in diesem kleinen Buch unfassbar viele. Dabei passt es in die Handtasche und lässt sich prima mal grad zur Hand nehmen, wenn wir mal wieder auf den Bus warten, der schon wieder ausgefallen ist.
99 Fragen an den Tod
Prof. Dr. Claudia Bausewein und Rainer Simader haben das für mich wichtigste Sachbuch dieser Zeit verfasst: 99 Fragen an den Tod – Leitfaden für ein gutes Lebensende. In neun Kapiteln werden die Fragen samt hilfreichen Adressen und einem Glossar wichtiger medizinischer Begriffe so gut es eben geht beantwortet und und erläutert. Dass auch sie nicht alles wissen, wird oftmals betont. Die Fragen zum Lebensende werden von verschiedenen Seiten angegangen. Welche Fragen haben die Angehörigen, Freunde, Bekannte, welche die Betroffenen selbst, wie gehen Kinder damit um?
Die wichtigste Essenz daraus lautet für mich: Ehrlichkeit. Auch gegenüber Kindern und Jugendlichen. Der kranke oder einfach nur alte Mensch spürt, wie auch die jungen Angehörigen, wenn wir nur herum schwafeln und uns nicht trauen, der Wahrheit ins Gesicht zu schauen. Was ist gut für die sterbende Person, was für die, die sich kümmern, sorgen, mitleiden?
Es ist gar nicht so einfach an das Thema heranzugehen, das habe ich selbst gemerkt. Obwohl, wie die Autoren festgestellt haben, wir, je älter wir werden, immer öfter damit konfrontiert werden. Loslassen, den Willen der gehenden Person respektieren, sich selbst zurücknehmen und dabei nicht stark sein zu müssen, sich nicht zu sehr verausgaben, auch an sich selbst zu denken; wenn man mittendrin steckt, sieht man all das meist nicht. Daher ist es hilfreich, sich vorab Gedanken zu machen.
Dieses Buch ist für den gesamten deutschsprachigen Raum gedacht, also Deutschland, Österreich und die Schweiz. Dabei werden immer auch die entsprechenden Regelungen erwähnt, die jeweils gelten. Ob es sich um Wiederbelebung, Patientenverfügung oder Vollmachten handelt. Einfühlsam tastet sich das Autorenteam dem Ende vor und auch der Zeit danach. Wir haben inzwischen sehr viele Möglichkeiten, allen betroffenen Personen Hilfestellungen zu geben, Kontaktadressen und viele kleine Hilfsleistungen werden angesprochen, Kollegen kommen ebenfalls zu Wort.
Es ist das erste Buch, das ich lese, welches den Genderstern benutzt. Ich habe bei mir festgestellt, dass ich tatsächlich das für mich Geltende lese und zum Beispiel die männliche Schreibweise überlese. Zum Teil hätte man das sicher noch einfacher machen können, aber Sprache ist immer im Fluss, wer weiß, wie es in fünf Jahren überarbeitet wird.
Wer hat Angst vorm BND?
Gerhard Schindler, ehemaliger Präsident des Bundesnachrichtendienstes, hat eine Streitschrift, wie er es nennt, geschrieben: Wer hat Angst vorm BND? - Warum wir mehr Mut beim Kampf gegen die Bedrohungen unseres Landes brauchen.
Und es ist eine Streitschrift, es greift aus seiner Sicht Missstände auf, die ihn und seine Vorgänger sowie Nachfolger massiv daran hindern, unser Land zu schützen. Immer einengendere Gesetze, Bürokratie und andere Hemmnisse lassen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser besonderen Behörde zweifeln und verzweifeln.Wen darf ich abhören, wie lange und aus welchem Grund? Wem sind sie Rechenschaft schuldig? Wie kann eine digitale Verfolgung aussehen? Welche Rechte gelten sogar für die im Ausland lebenden tatsächlichen Kriminellen mit entsprechenden Absichten? Dabei werden keine Unterschiede zwischen Terroristen, solche, die es werden wollen und den übrigen Machenschaften, auch von Unternehmen, vorgenommen.
Wie schützen wir Agententum im Ausland? Unter welchen schwierigen Bedingungen müssen diese Personen Informationen sammeln und vor allem verifizieren? Denn was heißt das schon, dass wir von befreundeten Nachrichtendiensten diese bekommen, wenn nicht klar ist, ob sie korrekt sind? Wollen wir, will Deutschland nur aufgrund dessen Entscheidungen treffen, die wir später bereuen? Wie oft soll es heißen, das hätten wir besser haben können? Was soll es uns kosten beziehungsweise auf welchen Kosten, sprich Menschenleben, werden entsprechende Entscheidungen gefällt? Wir brauchen Menschen in fremden Ländern, die bereit sind, Geheimnisse preis zu geben. Das gibt es nicht umsonst und kann auch eine Falle sein. Da heißt es absichern, absichern, absichern.
Daten zu schützen ist das eine, Menschenleben retten das andere. Es ist und bleibt eine Gratwanderung, die Schindler anhand von vielen Beispielen aufzeigt. Natürlich bietet er Lösungen an, um die es zu diskutieren gilt. Offen und ohne Denkverbote. Vor allem eines gibt es zu bedenken: die Bösewichte sind uns technisch weit überlegen. Auch wenn es in dem einen oder anderen Spionagethriller wieder die sogenannten toten Briefkästen gibt, sollte das nicht davon ablenken, dass zum Beispiel Geldtransfers in digitalen Währungen, verschlungene Wege im Netz und nicht nur www.allesbekanntaufderwelt gibt. Alternativen machen sich auf, die gar nicht mal so alte Ordnung aufzuhebeln.
Sein Schreibstil ist eindringlich, gleichzeitig unaufgeregt, ohne Polemik und wirkt und wirbt doch mit Überzeugungskraft. Die Menschheit ist nicht lieb und nett, Wettbewerbe werden mit unsauberen Mitteln unterwandert, Kriege wegen Nichtigkeiten geführt. Wollen wir wehrhaft, standhaft sein? Wie kann ein gutes Gleichgewicht zwischen Anspruch und Wirklichkeit hergestellt, erhalten bleiben? Politik und Gesellschaft sollten genau wissen, dass ohne den BND in der Vergangenheit, in der Gegenwart und natürlich in der Zukunft die BRD nicht so wäre wie sie war, ist und sein wird. Wie hoch darf/soll deren Einfluss sein, bei aller Offenheit, ohne unsere Agenten im Ausland zu gefährden und deren Helfer. Fangen wir an zu diskutieren.
Der Friedhof in Prag
Kurzrezi über ein zunächst abgebrochenes Buch.
„Der Friedhof in Prag“ von Umberto Eco gehört sicherlich zu einem der am häufigsten rezensierten und tiefgründig besprochenen Büchern der Weltliteratur. Und Eco gehört zweifelsohne zu den anspruchsvollen Autoren. Die Buchgestaltung nenne ich hier einmal exquisit zusammen mit dem Schutzumschlag und dem selbstverständlich dazugehörigen Seitenbändchen. Die für die verschiedenen Protagonisten genutzten Schrifttypen sind eine hervorragende Idee und die genutzten Bilder und Skizzen unterstützen die Phantasie der Leserschaft ohne Frage.
Wer mich und meine Rezensionen kennt, merkt sicher schon, ich habe meine Probleme mit dem Buch. Und ich schreibe es vorweg, ich musste es abbrechen. Obschon auf den letzten Seiten der Hinweis auf die chaotische Handlung hingewiesen wird, ist nicht das der Grund dafür. Nicht alles ist der Phantasie des Autors entsprungen, von dem ich bereits mehrere Bücher gelesen habe. Ich bin noch gar nicht soweit gekommen, dass ich den Inhalt des Klappentextes erreichen konnte. Dabei war ich schon im dreistelligen Seitenzahlbereich gelandet, als ich dann doch vorerst aufgehört habe zu lesen.
Ja, es ist historisch geschichtliches Erzähltes. Doch zurzeit habe ich das Gefühl, dass die Historie mich überrannt, dass ich mitten in ihr lebe. Der Grund dafür liegt in den, ja ich weiß, schon immer währenden Hassreden gegenüber anderen Personengruppen, Ländern und so weiter und so weiter. Vielleicht reagiere ich darauf in diesen Monaten der Corona-Pandemie besonders empfindlich. Ich kann es nicht mehr ertragen. Die mit Rückblenden versehene Geschichte eines Mannes, Simon Simonini, der von seinem Großvater erzogen wird, seinen Vater nur sporadisch sieht und seine Mutter erst gar nicht, spielt zwischen 1830 und 1898 (ich lasse mich gerne verbessern). Simon darf nicht zur Schule und sein Zimmer bis zur Studienzeit im Hause des Großvaters nur selten verlassen. Seine Kindheit besteht aus Lernen, seine Lehrer sind Priester. Freundschaften und Kinderspiele sind ihm fremd.
Unfassbar viele verschiedene Priesterschaften werden aufgezählt, man verwirrt und verirrt sich zwischen denen, die ihn unterrichten, denen, die gerade an der Macht sind oder an die Macht wollen. Europa ist im Umbruch, Kaiserreiche werden gestürzt, Republiken gegründet, alles wieder verworfen und aufs Neue versucht. Zwischendrin unser Protagonist, der Juristerei studiert und letztlich bei einem Gauner landet, der sich das Vermögen nach dem Tod des Großvaters unter den Nagel reißt. Doch Simonini bekommt seine Chance es ihm heimzuzahlen.
Am Anfang aber sind da zwei Männer, einer ein Priester, einer ein Gauner, der sich Notar nennt und Urkunden fälscht. Ihre Wohnungen sind miteinander verbunden und sie tasten sich aneinander heran, indem sie ein gemeinsames Tagebuch führen, sich ergänzen. Was der eine nicht mehr weiß, ist dem anderen bekannt. Mich faszinierten die Rezepte, die mich alle paar Seiten reizten darüber zu recherchieren. Und wer weiß, was ich in dieser Richtung nun erst einmal verpasse. Irgendwann nehme ich das Buch wieder in die Hand und lese weiter. Dann beende ich meine Rezension. Versprochen.
Schneemann
Passend zur Jahreszeit:Schneemann, von Jo Nesbø. Ein Kriminalroman, der weit in die Vergangenheit reicht. Es geht um aggressive, trunksüchtige, einzelgängerische Kommissare. Die wirklich alles aufs Spiel setzen, ihre Familien verlieren und alles, woran sie vielleicht glauben. Die denken, sie könnten ihre Umwelt manipulieren, nur, um festzustellen, dass sie selbst ebenfalls manipuliert werden. Also im Prinzip alles wie immer. Doch der Autor schreibt einfach klasse, spinnt Fäden über Zeit, Raum und Ereignisse, gibt seinen Figuren eine Tiefe und Gefühlswelt, die einen einfangen und zwingen am Ball zu bleiben. Und selbst den Protagonisten, die glauben, keine Gefühle zu haben, brutal und unnachgiebig handeln zu können, müssen am Ende das Gegenteil erfahren.
Am Anfang will uns Nesbø in die Irre leiten. Angeblich sind immer Wahlen in Amerika, wenn Frauen verschwinden und es wie verrückt schneit. Zusammenhänge werden nicht gesehen oder nicht wahrgenommen. Doch eines ist Fakt: es ist November, der erste Schnee fällt in Norwegen beziehungsweise an einigen Orten des Landes. Falsche Schlüsse werden gezogen, ein Serienmörder gar nicht in Betracht gezogen. Harry Hole, die tragische Polizeifigur im Roman, versucht mit verschiedenen Schritten seinen Vorgesetzten die Möglichkeit eines Serienmörders schmackhaft zu machen. Denn davon geht er aus. Doch seine Kolleginnen und Kollegen sind skeptisch: nur weil er einmal einen dingfest gemacht hat, muss ja nicht unbedingt in Norwegen einer tätig sein.
Und überhaupt soll die Presse eine Gute sein. Aber verschwundene Frauen, Blutspuren und verlogene Zeugen zeigen ihm den Weg. Außerdem wird Hole eine Kollegin aus Bergen an die Seite gestellt, die außerordentlich fleißig und geschickt die richtigen Schlüsse ziehen kann. Hauptspur bei jedem Fall ist ein Schneemann, dessen Gesicht nicht zur Straße hin zeigt sondern in die Häuser der Frauen, die verschwunden sind. Noch mysteriöser ist der Umstand, dass sie alle verheiratet und mindestens ein Kind haben. Also werden alle Fälle durchleuchtet, die in den letzten Jahren ebenfalls auf Ehefrauen mit Kind hinweisen. Es zeigt sich, dass auch in Bergen, woher die neue Kollegin von Hole stammt, Frauen auf ähnliche Weise starben. Hier gab es Leichen und der damalige Kommissar scheint der Täter gewesen zu sein. Denn nach seinem bis zum heutigen Tag nicht erklärbaren verschwinden sind dort keine weiteren Frauen als vermisst gemeldet worden.
Unfassbar viele Mitspieler mitsamt ihren jeweiligen Geschichten lassen einen immer wieder die falschen Schlüsse ziehen. Spannend bis zum Schluss. Dabei spielt Rachel, die Verflossene von Kommissar Hole eine wichtige Rolle. Das sollte man immer im Hinterkopf behalten. Verfilmt und klassifiziert ist es als Drama.
Schuldig
„Schuldig“ von Jodi Picoult ist ein lesenswerter Roman um Familiengeheimnisse und schuldhaftes Verhalten. Der Vater, Daniel, ist in Alaska als einziges weißes Kind der Gemeinde aufgewachsen. Mit den unterschiedlichen Verhaltensnormen kommen beide Seiten nicht klar. Schon in jungen Jahren verlässt er Alaska. Daniel hat sich zu einem höchst aggressiven, nicht anpassungsfähigen Menschen entwickelt, der nur in seinen Comiczeichnungen eine gewisse Ruhe findet. Erst als er Laura kennenlernt, findet er seinen Platz und seine Ruhe. Laura, ebenfalls in gewisser Weise ein Wildfang, lehrt als Professorin Dante und dessen Vorstellung über die Hölle. Die gemeinsame Tochter Trixi glauben sie beide auf einen guten Weg und bemerken nicht, dass sie völlig abdriftet.
In dem Ort, in dem sie leben, gibt es kaum Ablenkung für junge Leute. Also beschäftigen sie sich mit sich selbst. Und zwar auf sehr zerstörerischer Art und Weise. Laura und Daniel haben sich mit der Zeit von einander losgelöst, ohne dass sie es wahrhaben oder darüber sprechen wollen. Denn beide haben Geheimnisse voreinander. Daniel spricht nie über seine Vergangenheit, Laura nicht über ihren Betrug ihm gegenüber. Und beide bekommen nicht mit, dass ihre Tochter aufgrund ihrer Pubertät ihren Weg in der Gesellschaft sucht. Sie verliebt sich unsterblich in einen der besten Sportler der Schule, allerdings hält es nicht lange.
Und nun passiert es: die beste Freundin gibt ihr einen schlechten Rat, der letztendlich in einer Vergewaltigung endet. Die Eltern sind verzweifelt, sind sie doch viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt gewesen. Am Ende stirbt auch noch der junge Mann und die Suche nach dem Täter beginnt. Der ermittelnde Polizist fühlt sich schuldig, weil er bei seiner eigenen Tochter die Drogensucht nicht erkannt hat, die Mutter, weil sie den Vater betrügt, der Vater, weil er die Wahrheit über seine Vergangenheit verschweigt, Trixi, weil sie nicht ehrlich ist und deshalb wegläuft. Die Freundin, weil diese nicht zu Trixi hält, der Liebhaber der Mutter, weil auch dieser seine Geheimnisse verbirgt.
Über allem schwebt von Kapitel zu Kapitel ein Erwachsenencomic, gezeichnet von Dustin Weaver. Es ist Daniels Phantasie über Superhelden, männlich wie weiblich, die im Grunde die Geschichte seiner Familie zeigt. Wie die Tochter der Familie durch den Freund entrissen wird, der Vater in Dantes Hölle alle Stufen durchleiden muss, um zur Erkenntnis zu kommen und die Tochter zu retten. Und im Roman? Finden sich alle plötzlich in Alaska wieder, dem Ort in dem Daniel groß geworden ist.
Schuld ist ein großes Wort mit vielen Abstufungen. Eine falsche Entscheidung kann unendliches Leid auslösen und eine Kette von Ereignissen Ingangsetzen, dessen Ende niemand erwartet hätte.
Einfühlsam und doch nicht komplett überzeugend geschrieben. Man bleibt auf jeden Fall dran kleben.
Daisy Sisters
Eigentlich ist der Titel von Henning Mankells „Daisy Sisters“ nur ein anderes Wort für: jede Frau hat eine beste Freundin. Mindestens. Der Roman soll sich über drei Frauengenerationen in Schweden bewegen; in der Erzählung jedoch geht es nur am Rande von der vorhergehenden und der nachfolgenden zweier Generationen aus der Arbeiterklasse. Wichtige Themen spricht Mankell an, dessen Bedeutung nichts an Aktualität verloren haben, wenn wir uns nicht nur in Deutschland, oder auch Schweden, dem Ort des Geschehens, umschauen. Es betrifft nicht nur Frauen untereinander sondern das Verhältnis derer in einer Gesellschaft und wo Männer sich inzwischen auf verlorenem Posten sehen. Sie wehren sich wie üblich durch bloßes Machtgehabe, wie in Polen und auch anderswo sichtbar. Vergewaltigung, das bewusste Kleinhalten von Frauen, die sich nicht trauen auszubrechen, Machtmissbrauch durch sexualisiertes Verhalten, schlechte Rahmenbedingungen und vieles mehr werden hier beschrieben.
Die Väter von Elna und Vivi gehören verschiedenen Parteien an, im Zweiten Weltkrieg wirken sich beide Zugehörigkeiten fatal aus. Die beiden jungen Frauen führen lange Zeit eine Brieffreundschaft, bis sie sich endlich einmal treffen können. Eigentlich sollen sie nur einem Verwandten von Elna bei der Heuernte helfen, doch vorher wollen die beiden an die Grenze zu Norwegen, den Krieg erleben. Nach einer heftigen Nacht mit zwei Grenzsoldaten muss Elna Wochen später damit zurechtkommen, dass sie schwanger ist. Dass es bei Elna eine Vergewaltigung war, kann sie sich selbst gegenüber nur schwer eingestehen. Abbrüche sind verboten aber möglich, doch misslingt ihr dies, Eivor wird geboren. Die Umstände des versuchten Schwangerschaftsabbruches, wie die Eltern und das gesamte Umfeld reagieren ist bezeichnend für die damalige Zeit. Eigentlich will Elna etwas anderes aus ihrem Leben machen, sie ist klug, doch aus ihren Träumen wird nichts. Sie heiratet und bietet ihrer Tochter, die absolut nichts über ihren leiblichen Vater weiß, zumindest gute Randbedingungen, um es besser zu machen.
Jahre später erleben wir, wie es auch Eivor nicht gelingen mag, das sogenannte bessere Leben zu erwischen. Der alkoholkranke Nachbar, von Mankell liebevoll gezeichnet, nimmt einen Ausreißer auf, in den Eivor sich verliebt und furchtbares dadurch erleidet. Das zeichnet sie fürs Leben. Sie will in einem größeren Ort endlich durch harte Arbeit ihre Träume verwirklichen und landet doch nur, wie ihre Mutter, viel zu früh schwanger in einer Ehe. Nach dem ersten Kind will sie partout wieder arbeiten, doch ihr Mann sorgt dafür, dass sie wieder schwanger wird. Die Ehe zerbricht nach wenigen Jahren, sie muss und will für sich selbst und ihre Kinder sorgen. Die Freundschaft zu einer Arbeitskollegin aus ihrem ersten Job lässt sie an den nächsten Ort ziehen, wo sie wieder auf bessere Zeiten hofft. Das ist am Anfang auch so, doch dann trifft sie eine fatale Entscheidung. Sie landet in einer Fabrik, bei der Frauen eher selten anzutreffen sind. Hier begegnet sie derart niederträchtigen und sexualisierten Bedingungen, wie ich sie persönlich noch, zwar abgeschwächt, in den Achtzigerjahren des letzten Jahrhunderts während meiner Banklehre erlebt habe. Männern gegenüber ist sie nun extrem vorsichtig eingestellt, doch die erste Liebe holt sie ein. Wieder erlebt sie furchtbares, wird erneut schwanger und entscheidet sich letztendlich für das Kind.
Die schweren Bedingungen, die Mutter wie auch die Tochter erleben, werden von Mankell zwar gut beschrieben, doch die Gefühle der Frauen kann auch er nicht wirklich wiedergeben. Dass auch die Tochter von Eivor früh schwanger wird, ist für die Mutter wie ein Schlag ins Gesicht. Die Sprachlosigkeit, die Ängste, die die jeweilige Mutter gegenüber ihrer Tochter wie ein versagen klingen, dieses festhalten, nicht ausbrechen können aus dem Rahmen, das ist einfach nur furchtbar zu lesen. Nicht sichtbare Ketten, die von keinem der Frauen, auch den Freundinnen, durchbrochen werden können, stimmen einen traurig. Die Daisy Sisters erhalten zumindest ihre Freundschaft so wie Eivor auch die ihre. Dass das Leben kein Ponyhof ist, wird hier eindrucksvoll bewiesen.
Der Krieg der Enzyklopädisten
Eine echte Nikolausüberraschung habe ich für Euch mit dem Buch von Gavin Ford Kovite und Christopher Gerald Robinson mit ihrem Erstlingswerk „Der Krieg der Enzyklopädisten“. Für mich war dieses Geschenk einer Freundin eine wahre Freude. Man merkt den Autoren an, dass sie sich Zeit genommen haben, um ihren Roman zu schreiben. Ganze fünf Jahre brauchten sie, schrieben abwechselnd die Kapitel, jeder hat sein Alter ego mit hinein verwoben. Freunde, Familie und Experten halfen mit, ein regelrechtes Kunstwerk zu schaffen.
Das Wort Krieg bekommt hier in mehrfacher Hinsicht eine Bedeutung. Zunächst einmal erleben wir einen der Freunde, Montauk, in Bagdad. Ein Soldat ist er, mittleren Ranges, muss Männer führen, Entscheidungen treffen, schwitzen, stinken, seine Wut beherrschen. Er ist der Alter ego von Kovite, der in Bagdad zwischen 2004 und 2005 eine Infanterie-Einheit geführt hat.
Der andere Freund ist Corderoy, ein angehender Universitätsprofessor für Literatur, dem allerdings das Geld fürs Studium ausgegangen ist und nun als Testobjekt von fragwürdigen medizinischen Studien zumindest die Miete zahlen will. Er ist im Krieg mit sich selbst, seiner Umwelt, den Frauen und seinem besten Freund Montauk.
Selbstverständlich gibt es sie auch, die Frauen. Da ist zunächst Mani, eine Künstlerin, die mit ihren Eltern dem Krieg in ihrem eigenen Land entflohen ist und sich treiben lässt. Zunächst die Freundin von Corderoy, wird sie zur Kriegsbraut von Montauk. Tricia ist die egozentrische Mitbewohnerin von Corderoy, die unbedingt etwas aus ihrem doch sehr verwöhnten Leben machen möchte und als Kriegsberichterstatterin nach Bagdad möchte. Natürlich trifft sie noch in der Heimat auf Montauk und diesen später wieder im Irak.
Alle vier Protagonisten sind in den Zwanzigern, also keine Teenies mehr und trotzdem noch nicht wirklich angekommen im Leben. Doch mit jedem Schritt, mit jeder Erfahrung reifen sie, zweifeln sie, wird ihnen bewusst: jede Entscheidung die sie treffen hat Konsequenzen. Und: man trifft sich meist mehrmals im Leben.
Warum aber nun dieser Titel? Die beiden Freunde feiern gerne Mottopartys und nennen sich die Enzyklopädisten. Und machen sich zunächst einen Spaß daraus einen Artikel in Wikipedia zu veröffentlichen, den sie beide immer wieder aktualisieren. Denn: prüft ja eh keiner nach, was da so steht. Mit der Zeit, als beide getrennte Wege gehen, dient dieser Artikel als toter Briefkasten. Hier tauschen sie ihre Gefühle und Gedanken aus, ohne Telefon, ohne E-Mail oder sonstige Kommunikationsmittel. Einfach nur genial diese Idee. Immer wieder kann sich die Leserschaft die überarbeiteten Seiten betrachten.
Dem einen Freund begleiten wir bei seinem ergebnislosen Weg aus dem Studium hin zum Versuchskaninchen und seinen Abenteuern mit der Frauenwelt, nebst nicht Anbaggerungsversuchen zu seiner Mitbewohnerin. Dem anderen bei seinem Soldatenleben, seinen Kameraden und den Menschen, die er dort kennenlernt. Dessen Frustration, die Wut, die er nicht ausleben darf, Hitze, Anschläge, Mordopfer, Autobomben; all das bekommen wir eiskalt serviert.
Die Liebe zum Detail, zu der künstlerischen Entwicklung von Mani, und Tricia, der nichts lieber ist, als der Wahrheit auf die Spur zu kommen, das nimmt man den Autoren ab. Der Roman wirkt selbst wie ein gelungenes Experiment mit seinen Wikipedia-Artikeln und seinen Verhör-Protokollen zu einem Mord in Bagdad. Danach ist man selbst wütend wie Montauk, der erkennen muss, dass er leider so absolut kein Verbrechen aufklären kann.
Viele Fehlentscheidungen gestehen das Autorenteam diesen vier jungen Menschen zu. Wie sie nun, in Zeiten von Fake News und Verschwörungstheorien, wohl agieren würden? Für mich war dieser Roman ein Gewinn; eine perfekte Sozialstudie über junge Menschen nach dem verheerenden Attentat in Amerika. Absolut Empfehlenswert. Erwähnen will ich auch die Übersetzer Gerhard Falkner und Nora Matocza, ebenfalls wie das Autorenteam ein Tandem, das bereits viele Werke gemeinsam übersetzt hat.
In Zeiten des abnehmenden Lichts
Eugen Ruge liebt alle seine Figuren, das merkt man beim Lesen. Bis auf zwei. In seinem Roman, der den Deutschen Buchpreis im Jahr 2011 gewonnen hat „In Zeiten des abnehmenden Lichts“, kommt daher fast jede Person zum Zuge.
Wie üblich, erzählt auch hier der Autor zum Teil in Rückblenden die Geschichte der Familie Umnitzer/Powileit. Charlotte, die starke Frau in der Familie, die immer und überall ihren Kopf durchsetzen will und mit Entscheidungen, die ihr Leben bestimmen sollte, hadert. Ihr das Lager in der Sowjetunion überleben Sohn Karl liebt sie zwar über alles, nicht aber dessen russische Frau Irina, die er nach der jahrelangen Gefangenschaft mitgebracht hat.
Irina verzweifelt auf der Suche nach Anerkennung bei ihren Schwiegereltern zunächst schleichend, dann immer schneller. Ihren Alkoholismus kann sie lange geheim halten, aber die Missachtungen, die ihr von allen Seiten entgegenschlagen, sind für sie kaum noch zu ertragen. Vor allem, da ihr geliebter Sohn Alexander sich ebenfalls von ihr abwendet. Mit jedem Schluck mehr in seiner Gegenwart schwindet seine Liebe und verstärkt dadurch ihre Sucht.
Das kleinbürgerliche Leben von Karl und seiner Familie, das durchaus zunächst besser erscheinende seiner Eltern, hat seinen Preis. Wie es in der ehemaligen DDR zuging, davon konnte sich in den letzten Jahrzehnten die Leserschaft ein Bild machen. Wirklich frei, wie sich Charlotte und ihr Mann vorstellten, konnten sie ihr Leben nicht führen. Viele Jahre harrten sie in Mexiko im Exil aus, bis sie endlich wieder in der Heimat einen Platz gefunden hatten.
Die nächste im Bunde ist Irinas Mutter Nadjeshda. Auch sie ist geprägt von ihrer Vergangenheit und dem unablässigen Wunsch, ein Kind zu haben. In zutiefst ärmlichen Verhältnissen groß geworden, lehnt sie es entschieden ab, bevorzugt zu werden. Ihren Urenkel Markus würde sie so gerne öfter sehen, doch die Beziehung zwischen seinen Eltern ist zerbrochen. Ein letztes Treffen kommt zustande bei der legendären Geburtstagsfeier des Patriarchen. Markus ist begeistert von den Andenken seiner Urgroßeltern aus Mexiko und nimmt sehr gerne ein Geschenk als vorgezogenes Erbe entgegen.
Oh, wie Charlotte im Grunde die ewig gleichen Lobpreisungen und Orden verachtet, genauso wie Wilhelm seine Gäste. „Das Gemüse“ soll auf den Friedhof oder in den Müll, von den Orden hat er genug. Seine halb erfundene Lebensgeschichte wird immer und immer wieder nacherzählt, sehr zum Verdruss von Charlotte, die sich von Partei und DDR mehr versprochen hat. Es sollte schließlich nicht umsonst geschehen sein, dass sie den Vater ihrer Kinder verlassen hat.
Man kann sich in jedes einzelne Leben hineinversetzen, die Gründe für jegliche Wandlungen nachvollziehen. Die Abhängigkeiten und kleinen Siege, die jede Figur durchleben sind teils bitter erkauft. Ich war sofort tief in dieser Welt versunken. Dass er mich so spät erreicht hat zeigt mir klar, es gibt noch unendlich viel zu entdecken, und das ist gut so. Ach ja, der Film wartet auch noch auf mich.
Mehr darüber findet sich zum Beispiel unter: https://de.wikipedia.org/wiki/In_Zeiten_des_abnehmenden_Lichts
Lupus
Nun also, Oxen „Lupus“ von Jens Henrik Jensen. Es ist für diejenigen, die bereits die ersten drei Bände über den Ex-Elitesoldaten und seinen Mitstreitern rund um den Danehof gelesen haben, wie ein nach Hause kommen. Der Danehof, um es kurz zu erklären, war ein sehr alter Geheimbund, der sich ausnahm, die Geschicke des Landes Dänemark in die Hand zu nehmen und zu steuern. Wie sie das machten? Indem sie viele wichtige Positionen, bis in die Ministerriege hinauf mit eigenen Leuten besetzten. Niels Oxen, Axel Mossmann, der Geheimagent, und nicht zu vergessen, seine Partnerin Margrethe Frank, kamen dem Danehof auf die Spur und haben ihn zerschlagen. Dabei ging aber ebenfalls die Ehe von Oxen endgültig zu Bruch und leider auch seine Verbindung zum wichtigsten Menschen auf der Welt; seinem Sohn Magnus. Das zur Einstimmung.
Oxen versucht seine Traumata aus diversen Kriegseinsätzen zu überwinden, um in der normalen Welt Fuß fassen zu können. Klappt aber nicht. Er ist wie ein einsamer Wolf. Und als er von echten Wölfen hört, die angeblich wieder in Dänemark gesichtet wurden, will er ihnen auf die Spur kommen. Irgendwie passt es da gut, dass ihn Axel Mossman um Hilfe bei einem Vermisstenfall bittet. Er lehnt ab, macht sich aber dennoch auf den Weg, denn genau dort soll es die Wölfe geben. Alles in dieser Gegend hat mit dem Wolf zu tun, echte ebenso wie im Namen von Hügeln, Dörfern, Gegenden. Und irgendwie kommt es dann doch zur Zusammenarbeit mit Mossmann. Langsam, schleichend, unerbittlich.
Seine Partnerin Margrethe wird durch Oxen auf ihren eigenen Fall aufmerksam. Vor Jahren verlor sie im Dienst als Polizistin bei einem Überfall und einer Schießerei einen Teil eines ihrer Beine. Sie hatte zusammen mit ihrem Partner Bankräuber stellen wollen und erschoss einen von ihnen. Der Vermisstenfall von Mossmann und ihr alter Fall hängen irgendwie zusammen. Sie macht sich auf ihre Spuren, Oxen auf die seine. Dabei können wir Oxen begleiten, wie er sich an Wölfe heranpirscht und dabei eine arme Seele findet, die ihm später in der Geschichte noch gute Dienste leisten wird. Oxen versteckt sich auf der Farm des Vermissten und entdeckt irgendwann, dass diese komplett verwanzt ist. Er sieht sich selbst besoffen herum fallen. Das sind die Seiten, ich gebe es zu, wo ich einiges quer gelesen habe und auch schnell überblättert.
Die Story in der Story geht um eine junge Frau, die nach einer Feier verschleppt, missbraucht, gefoltert und in der Kälte liegen gelassen wird. In Rückblenden erleben wir, wie sie zwar das Ganze zunächst überlebt, aber die Familie darüber zerbricht. Was war damals wirklich geschehen? Was hat das Ganze mit dem Vermisstenfall zu tun? Nach und nach werden die losen Fäden zusammen gesponnen und Oxen und seine Mitstreiter kommen einer unfassbaren Geschichte auf die Spur. Da Oxen Mossmann niemals ganz vertraut und sie sich gegenseitig nie alle Geheimnisse erzählen, sind natürlich Verwicklungen vorprogrammiert. Das, zusammen mit seinen immer wiederkehrenden Albträumen, lässt Oxen fast verzweifeln. Und dann verlieren sie auch noch den Kontakt zu Margrethe. Nun kommt es knüppeldicke.
Routiniert erzählt mit spannendem Finale ist es sicher ein Genuss für die Fans von Niels Oxen. Die Annäherungsversuche unseres Helden zu seinem Sohn sind, zumindest für mich, absolut nachvollziehbar. Ob es ihm gelingt, ein normales Verhältnis zu ihm aufzubauen?
Auf der offiziellen Webseite des Autors gibt es mehr Informationen über Oxen und weiterer Bücher. https://jenshenrikjensen.de/
Wir sind nicht nachtragend ...
Nein, der Name Uwe Steimle sagte mir bis dato nichts. Und nun halte ich sein Buch in den Händen „Wir sind nicht nachtragend … aber wir vergessen auch nichts“. Dabei fällt mir zunächst auf, dass nicht nur der Schutzumschlag aufwendig gestaltet ist, das Buch an sich mit seinem Foto, dass über die Umschlagseite 1 und 4 ziert, so etwas ist selten geworden. Das Schmuckbändchen, das man nutzt, um sich zu erinnern, auf welcher Seite man zuletzt verweilte, soll die Aufmerksamkeit ums Äußere beenden.
Als ich auf dem Innenklappentext las, er ist mein Jahrgang, war mir klar, auch er ist ein Babyboomer. Dann die kurz umrissene Historie über den Werdegang des Autors. Erst da bin ich hellhörig geworden, wollte mir aber zunächst einen Eindruck darüber verschaffen, über was der „Zauberer von Ost“ schreibt. Die ersten Abschnitte, Sätze, Fragmente: abgehackt. Satirisches kann ich nicht erkennen. Vielleicht fehlt mir da der Blick darauf. Ich lese nur ernsthaftes, hilfloses, ob der Widrigkeiten des Lebens. Das kann einen schnell überfordern, ob man nun bekannt ist oder nicht. Sicher, als Sachse ging ihm der Diebstahl im Grünen Gewölbe stark an die Nieren. Aber das und die Hintergründe dabei ging vielen Menschen ebenfalls sehr zu Herzen. Dafür muss man nicht an einem bestimmten Ort geboren sein.
Abzunehmen ist ihm die Liebe zur Heimat, der Blick darüber hinaus allerdings kommt mir zu kurz. Verhaftet in der Vergangenheit kommt er mir vor, die uns alle in gewisser Weise prägt, geprägt hat, und prägen wird. Die Kunst im Leben ist es, darüber hinaus das Unbekannte zuzulassen und der Mut, es kennenzulernen. Manche Angst steht uns dabei im Wege. Und natürlich die prägenden Erfahrungen. Dass wir das den Menschen nicht hinreichend genug zubilligen, das lese ich auch in diesem Buch heraus. Mehr Zeit, für jeden Einzelnen im passenden Maß, das gönnt die Welt und die Führenden, egal wo und wie, niemanden.
Angeprangert wird vieles, das eine ist zu viel, das andere zu wenig, Nie ist alles schlecht in einem Unrechtsstaat, doch wenn das Unrechte überwiegt, dann kommen die Veränderungen. Dem einen zu schnell, dem anderen nicht schnell genug. Und wenn der Autor liest, dass mein Mädchenname ebenfalls Hofmann ist, oh je, dann kommen wohl gleich wieder ungute Erinnerungen in ihm hoch. Nicht nur in Sachsen nannte man die Frau, die einen auf die Welt brachte Mutti. Vielleicht liegt es daran, dass die Vergangenheit vieler Menschen, auch hier im Westen, im Osten liegt. So manches Gericht, das er beschreibt, ist mir nicht fremd.
Es wird immer wieder vermittelt, auch vom Autor, dass die deutsche Sprache vermischt wird mit Begrifflichkeiten aus dem Ausland. Verkannt wird dabei, dass früher bei Hofe das Französische gesprochen wurde, damit der gemeine Pöbel nicht mitbekam, was da gesprochen wurde. Daher wurden und werden, gerade auch in Grenznähe Worte in die deutsche Sprache integriert. Jüdische Ausdrücke haben sich ebenso wie englische und lateinische eingebürgert und werden das auch immer tun. Genauso wie deutsche Worte in anderen teilen dieser Erde genutzt werden. Vor allem in Ländern, die bei Deutschen als Auswanderungsland beliebt sind.
Der Sprachfluss ist holprig, es liest sich oftmals, als wenn Steimle auf der Bühne steht. Das nimmt einem die Freude darüber, ein Buch zu lesen. Natürlich habe ich auch gegoogelt und da so einiges gelesen. Um ganz deutlich zu sein, seine Meinung ist nicht die meine. Ich kenne keines seiner Fernsehauftritte, vielleicht schaue ich mal gezielt nach einem Polizeiruf, um mir zumindest ein Bild von seinen Schauspielerqualitäten zu machen. Seine Heimatverbundenheit habe ich bereits erwähnt, was ich vermisse sind die anderen Bundesländer der ehemaligen DDR, die nicht wirklich ihren Auftritt hier haben. Geschichten aus der Vergangenheit prägen die Kapitel, wobei auch er sich Fragen über seine Familie stellt. Und womöglich nie eine Antwort erhalten wird.
Im Netz gibt es reichlich über den Autor zu finden.
LEBEN
Weltweit sterben Tier qualvoll innerhalb von wenigen Stunden oder Tagen. Sei es die Fledermauskolonien auf der Schwäbischen Alp oder im Krüger Nationalpark. Die Menschheit wird von einer mysteriösen Krankheit heimgesucht. Die Patienten altern innerhalb kurzer Zeit um Jahrzehnte, sie bekommen gelbe Augen und sterben. Auch der Pharmavertreter Fabian Nowack ist davon betroffen. Er fühlt sich müde und träge und hat laut seinem Arzt kaum Überlebenschancen. Nowack kann als Proband für eine Medikamentenstudie teilnehmen.
Pharmaunternehmen arbeiten fieberhaft an einem Gegenmittel. Dabei geht es um Macht und Korruption. Hier wird mit Menschen, den Tieren und der Natur gespielt. Letztlich gehet es nur um Macht und Gewinnmaximierung. Dabei geht es um das Überleben der Menschheit, aber auch damit lässt sich Geld verdienen . . .
Das Buch liest sich gut. Jedem Kapitel ist ein Zitat vorangestellt, welches zum Nachdenken anregt. Der Roman ist glaubwürdig und erschreckend real, man wird mit „Leben“ gefesselt.
Verborgen im Gletscher
Wer gerne einen ruhigen, doch interessanten Kriminalroman lesen möchte, ist gut bei Arnaldur Indriðason aufgehoben. Diesmal habe ich mir „Verborgen im Gletscher“ ausgesucht. Die sogenannten Island Krimis sorgen dafür, dass ich mir heißen Tee, scharfes Essen und ein warmes Bad wünsche. Denn sie sind immer von Kälte, Schnee und Eis geprägt. So auch hier. Eine lang vermisste Leiche wird gefunden, im Langjökull-Gletscher, Jahrzehntelang frisch gehalten. Der inzwischen längst in Pension befindliche Kommissar Konráð wird von seiner ehemaligen Geliebten und ihres Zeichens Rechtsmedizinerin Svanhildur in der Nacht angerufen. Er soll es erfahren, dass einer seiner ungelösten Fälle einen neuen Antrieb erhalten hat.
Damals hatten sie zwar keine Leiche, aber einen Verdächtigen, der immer noch im Gefängnis sitzt. Als Pensionär hat er natürlich keinerlei Befugnisse mehr, lässt sich aber von Verwandten quasi beauftragen, zu ermitteln. Eiskalte Spuren sind es nun, denen er nachgeht, Vermutungen, Gerüchte und Meinungen. Ein kleiner Junge, der die Täter gesehen haben soll. Eine alte Frau, die dem Opfer beigestanden hatte?. Geplatzte Geschäfte, eifersüchtige Partner, betrogene Ehefrauen, längst Verstorbene Zeugen. Doch langsam aber sicher kommt er den Rätseln bei, kann Knoten und falsche Spuren beseitigen, wie auch sein eigenes Leben wieder auf die Reihe bekommen.
Was ist mit dem Auto, der die Leiche zum Gletscher gebracht haben soll? Zur damaligen Zeit gab es doch eigentlich gar nicht so viele, die mit genügend Power und entsprechenden Reifen ausgestattet waren? Und doch hatten sie es nicht geschafft, diesen ausfindig zu machen, geschweige denn einen Fahrer. Was ist mit dem Geschäftspartner, der sich über den Tisch gezogen fühlte? Und der für den Kommissar eine harte Nuss war, der ihn provozierte auf eine ungesunde Art und Weise. Das macht ihm heute noch zu schaffen. Was ist mit der Ehe des Verstorbenen? Was wusste die Ehefrau wirklich?
Durch die Geschichte hindurch zieht sich auch die Historie von Konráð. Sein Leben, seine Ehe. Schlafen kann der alte Kommissar kaum noch. Lieber hält er sich an Rotwein. Doch er kann den Träumen, den Gespenstern, den Erinnerungen nicht entkommen. Seine große Liebe, seine Frau, ihr begegnen wir immer wieder. Und zwar bis zum letzten Atemzug. Was muss das für eine mutige und tapfere Frau gewesen sein. Das berührt einen sehr.
Ein ruhiger Schreibstil, die Story besticht durch die Hartnäckigkeit seiner Protagonisten, diesen fast unlösbaren Fall ein gutes Ende bereiten zu wollen. Ein hervorragender Tipp, um diesem Herbst und kommenden Winter genussvoll zu überstehen. Die Reihenfolge seiner Bücher findet man unter https://reihenfolge.org/autor/arnaldur-indridason/ über den Autor wird man unter anderem fündig unter https://de.wikipedia.org/wiki/Arnaldur_Indri%C3%B0ason
Federball
Federball, da denkt man gleich an Sport. Dass auch ältere Spione von Zeit zu Zeit einfach mal in diesen Genuss kommen wollen, davon zeugt der gleichnamige Roman von John Le Carré. Der Altmeister der Spionagethriller hat hier ein Spätwerk abgeliefert, dass seiner Schreibkunst sehr wohl gut steht. Allerdings: wie auch einige seiner Protagonisten müde und erschöpft vom Geschäft wirken, so wirkt auch sein Buch. Deshalb ist es auch gut, dass es ins Genre Roman, wie auf dem Klappentext vermerkt, und nicht unter Thriller läuft.
Um was geht es? Die üblichen Spielchen zwischen den üblichen Ländern und deren Vorherrschaft in der Welt. Oder auch, welche Kultur, Staatsform beziehungsweise Politik gewinnt für einen kurzen Moment die Führung, um im nächsten wieder abgelöst zu werden. Dafür sorgen schließlich die Spione. Nat, unser Spion der Stunde, will eigentlich gar nicht mehr. Seine Karriere kommt nicht voran, für die Feldarbeit wird er langsam zu alt. Doch seine während der Arbeit erlangten Kontakte sind immer noch eine Währung, die hoch im Kurs steht. Diese an die nächste Generation weiterzugeben, das wird schwer. Eigentlich möchte er mit seiner Frau ein ruhigeres Leben beginnen, doch das ist ihm nicht gegönnt.
Irgendwas ist im Busch, nur kann er es nicht greifen. Das neue Team, das er leiten soll, hängt an seinen legendären Lippen. Auch wenn die Informations-Technik weit ausgereift ist, so sind tote Briefkästen, ausgeklügelte Fluchtwege und alte Kontakte für ihn noch immer eine gute Option. Während er also seinen üblichen Tätigkeiten nachgeht, trifft er in seinem Sportclub auf den jungen Ed. Dieser ist für ihn ein guter Gegner beim Federball. Immer mal wieder spielen sie zusammen, um danach noch ein wenig zu plauschen. Dabei erfährt Nat so einiges über dessen politische Meinungen. Wie er zu Trump steht, dem Brexit aber auch über seine eigentliche Arbeit in einer Medienagentur.
Bei einer seiner Treffen mit Ed kommt es zu einer Begegnung mit seiner jungen Untergebenen. Und da ist plötzlich ein geplatztes Treffen zwischen Spionen zweier Länder. Nat soll herausfinden, was da eigentlich los ist. Und wird kalt erwischt. Ed soll ein Agent sein. Seine Vorgesetzten wollen alles wissen. Und so erfahren wir, wie es war, als Nat Ed kennengelernt hat. Warum sie plötzlich zusammen spielen. Nat wird verdächtigt, ein falsches Spiel zu spielen. Seine Frau kennt sich ebenfalls ein wenig aus und so versuchen sie, sich aus den Schlingen der Machenschaften aller Beteiligten zu befreien.
Natürlich: wie alle seine Bücher eignet sich auch dieses gut zur Verfilmung. Uninteressant ist das Buch nicht. Doch von den üblichen Verdächtigen meines Erachtens zu hoch gelobt, ob des bekannten Namens des Autors. Ich bin mir sicher, würde ein Unbekannter auf dem Klappentext stehen, würden nicht halb so viele gute Kritiken im Umlauf sein. Dass alles passt, die ausgeklügelten durch die Gegend fliegenden Erzählfäden zu einem Ende finden, ja klar, dafür ist er schließlich ein prämierter Autor, der sich in der Welt der Spionage bestens auskennt. Für Liebhaber seiner Bücher bedingt geeignet. Es gibt wesentlich bessere. Mehr über das Buch zum Beispiel unter:
https://www.ullstein-buchverlage.de/nc/buch/details/federball-9783550200540.html
Metalmorphosen - Die unwahrscheinlichen Wandlungen des Heavy Metal
Metal einmal wissenschaftlich beschrieben, das hat Jörg Scheller in Metalmorphosen – Die unwahrscheinlichen Wandlungen des Heavy Metal. Dabei gibt es doch schon die, auf manchen Internetseiten erzählte Geschichte vom Prinzen, der Prinzessin und dem bösen Drachen. Verschiedene Stilrichtungen des Metal werden dort anhand der drei Protagonisten ausreichend erläutert. Prinz kommt auf Harley angebraust, tötet den Drachen, trinkt ein paar Bierchen und vögelt die Prinzessin. Kurz: Heavy Metal. Die anderen Versionen finden sich im Netz.
So hat es der Autor nicht gemacht. Im Gegenteil: sein Werk ist fast schon allumfassend zu nennen, was Zeiträume des Genre betrifft, wie sich der Metal in den Ländern und Erdteilen entwickelt hat, Geschlechterrollen im Metal und Einflüsse aus der Musikszene jeglicher Art beschrieben. Dabei sind manche Kapitel schwieriger zu erfassen als andere, was auch am Schreibstil beziehungsweise natürlich auch am Interesse des jeweils Lesenden liegen wird.
Da ich selbst nicht Musik studiert habe, habe ich die musiktheoretischen Analysen als interessant empfunden, konnte aber zum Teil nicht wirklich folgen. Und damit nicht beurteilen. Die Interviews der verschiedenen Bandmitglieder waren da für mich schon reizvoller. Hier werden die auf dem Rückentitel erwähnten Verknüpfungen von Kosmetik und Psychotherapie mit dem Metal schnell klar. Denn viele Musiker haben noch ein Leben neben der Band und empfinden es als völlig normal, beides sehr gut miteinander zu verbinden.
Metal, das bedeutet für die Meisten vor allem Freiheit in jeglicher Hinsicht. Was den Stil betrifft: Weiterentwicklungen, Rückentwicklungen, ein Nebeneinanderher, ein Verbinden, Trennen, wieder Einfangen, Neubeginn und/oder Besinnung auf den Anfang. Der Tausch von Demobändern rund um die Welt ist das verbindende Glied in der Kette von Fans und Bandmitgliedern, vom Beginn der Zeitrechnung dieses Musikstils.
Scheller beschreibt die Einflüsse von Rock, Klassik, Punk und anderen Richtungen, die Virtuosität der Musikstücke, die Auftritte der Bands und wie sie sich gegenseitig unterstützen und Vorbild sind. Dabei vergisst er mitnichten, dass Drogen und Alkohol genauso dazu gehören, wie, leider, in manchen nordischen Ländern das Abfackeln von Kirchen und schlimmeren. Letzteres hat allerdings auch wieder aufgehört.
Von der Arbeiterklasse bis zu verwöhnten Gören, von Glaubensrichtungen und Ritualen, die dann doch keine sind oder sein wollen/sollen, vom Zusammenhalt in dieser speziellen Gruppe und doch auch Trennendes, das wird beschrieben. Natürlich stehen heterosexuelle Menschen oder wie sie als solche empfunden werden an erster Stelle. Dabei zeigen früh die Verkleidungen und Schminkexzesse, dass Homosexualität ebenfalls eine Rolle spielten und spielen. Und auch wenn gerade Frauen sowie Menschen anderer Gesellschaftsschichten und Länder, anders als die harten weißen Kerle, in der Minderheit sind, so sind sie präsent und prägend für den Metal, wie der Autor erläutert.
Spaß an der Musik, am Liveauftritt, am Kauf/Verkauf der entsprechend gestalteten T-Shirts und Platten, das alles ist bis Heute unfassbar wichtig für die Metalgemeinde. Die mehrtägigen Events sind so verbindend und nahrhaft für die Seele des Metalfan wie das tägliche Brot und Flüssigkeit jeglicher Art. Vom Schmuddelkind, mit dem man nicht spielen, deren Musik man bei Strafe nicht folgen durfte, hat es sich mit den Generationen gewandelt. Die Eltern und manchmal schon Großeltern sind schließlich schon immer Metalfans gewesen, so sollen auch die Kinder ihren Spaß haben.
Beeindruckend umfassend sind die Beschreibungen rund um die Szene, die mehrere Jahrzehnte umspannen, mit einer Wortevielfalt, die seinesgleichen sucht. Auf dem Rückentitel ebenfalls erwähnt wird:
Mit musiktheoretischen Analysen von Dennis Bäsecke-Beltrametti und Interviews mit Sabina Classen (Holy Moses), Cronos (Venom), Ben Weinman (The Dillinger Escape Plan), Mille Petrozza (Kreator), Freddy Lim (Chthonic) und Prika Amaral (Nervosa).
Auf weiterführende Internetseiten findet sich so einiges interessantes über den Autor wie auf Wikipedia unter: https://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%B6rg_Scheller# aber auch auf seiner eigenen unter: http://www.joergscheller.de/
Die Pest
„Die Pest“ von Albert Camus gehört zu den wichtigsten Büchern, die je verfasst worden sind. Auf dem Rückentitel der vor mir liegenden Ausgabe steht:
Die Stadt Oran wird von rätselhaften Ereignissen heimgesucht. Die Ratten kommen aus den Kanälen und verenden auf den Straßen. Kurze Zeit später sterben die ersten Menschen an einem heimtückischen Fieber: Die Pest wütet in der Stadt. Oran wird hermetisch abgeriegelt. Ein Entkommen ist nicht möglich. Albert Camus´erfolgreichster Roman gehört zu den Klassikern der Weltliteratur. In ihm seziert er hellsichtig das menschliche Handeln im Angesicht der Katastrophe.
Natürlich: Die Sprache, der Schreibstil passt nicht recht in unsere Zeit. Dennoch und vielleicht sogar gerade deshalb sollte es Pflichtlektüre für alle und jede Person sein, die mit der derzeitigen Coronapandemie nur irgendwie in Kontakt gekommen ist. Und das ist inzwischen fast jeder Mensch. Alle Handelnden, alle Entscheider, alle Betroffenen werden sich in diesem Buch wiederfinden. Ob es darum geht, zu zögerlich zu sein, um konsequente und schnelle Maßnahmen zu ergreifen, zu erkennen, was wirklich wichtig ist. Ob man betroffen davon ist, am liebsten zu flüchten, doch bloß wohin? Es ist wie beim Hase und Igel, es ist immer schneller, dieses Virus.
Im Buch werden die verschiedensten Charaktere vorgestellt, dabei gibt es, wie wir leider zurzeit merken, noch sehr viel mehr. Wer möchte den zweiten Teil dieses Werkes schreiben? Ich bin sicher, da gibt es einige Aspiranten. Statt der zunächst sterbenden Ratten erkennen wir vielleicht an den Hunden, die keine erkrankten Personen mehr erschnüffeln, dass sich das Virus ausgetobt, verändert, verschwunden ist. Aber ob es am Ende gar noch schlimmer kommen wird? Das ist das Rätsel unserer Zeit. Den Kopf in den Sand zu stecken und gar nichts tun, so, wie so mancher Protagonist im Roman, den Tod verschweigen, ausharren, verneinen, wird einen auch nicht retten. Und wenn, nur einige Wenige.
Obwohl der Autor immer wieder auch auf vergangene Epidemien hinweist, sogar ein Impfstoff vorhanden und wenige Behandlungsmöglichkeiten bekannt sind, verlieren auch hier die Ärzte und Hilfskräfte viele Leben. Leichenberge, Massengräber, Notverbrennungen am Ende,
können nicht verhindert werden. Kommt Euch das bekannt vor? Leider ist es nicht verhinderbar. Woher die Viren auch stammen, welche Wege sie gehen, um selbst zu überleben, sie sind Teil dieser Welt. Das Umgehen damit und die Krisen, die sie imstande sind zu erzeugen, lässt uns das uns wirklich verändern? Das ist die Frage, die selbst Camus nicht imstande ist zu klären.
Mondscheintarif
Schwesternherzen und ein unsichtbarer Hund
„Schwesternherzen und ein unsichtbarer Hund“ von Viola Eigenbrodt ist eine kurzweilige Story, die prima für eine Reise geeignet ist. Ob als E-Book oder Taschenbuch, es verkürzt die Zeit und wirkt gegen Langeweile. So scheint es oberflächlich.
Die Geschichte zweier Schwestern Anfang
Vierzig, die sich um das geerbte Haus der Eltern fast bis aufs Blut
streiten, kommt teils lustig teils nachdenklich machend daher. Da ist
der Vater verstorben, wie so oft, ohne die Töchter in letzter Zeit
durch Besuche gesehen zu haben. Das Haus voller Erinnerungen,
großzügig gebaut, wollen beide wieder nutzen. Die Mutter ist schon
vor Jahren dem Vater vorausgegangen, wie sie selbst immer wieder
prophezeit hat.
Auf den ersten Blick haben beide Schwestern nichts gemeinsam, zumindest äußerlich unterscheiden sie sich stark. Die eine groß, sehr auf ihre Figur aufpassend, gut verdienend, dunkelhaarig, immer einen Lover in Sichtweite und der Schwarm der Nichte. Dafür ist die andere eher klein, mollig, blond, Mutter einer pubertierenden Tochter, alleinerziehend und immer knapp bei Kasse. Ein Mann muss für sie wohl erst noch gebacken werden.
Die Geschichte ist immer im Wechsel aus der Sichtweise mal der einen, mal der anderen Schwester geschrieben, erst zum Schluss kommt auch die Tochter beziehungsweise Nichte zu Wort. Bei den vielen Streitgesprächen wird klar, dass sie alle Geheimnisse bewahren, selbst die Eltern hatten vor ihnen und auch untereinander so einige. Die Schwestern verstehen gar nicht recht, wieso die temperamentvolle Mutter sich einen Mann gesucht hat, der von Frauen so gar nichts versteht. Dabei liegt das doch eigentlich auf der Hand.
Fast scheint es, als wären beide Eltern aus dem Universum gefallen, haben sich gesucht und gefunden, so unterschiedlich sie auch sind. Die Schwestern finden kaum Hinweise auf deren Vergangenheit geschweige denn Familie. So streng der Vater war, die eine Tochter anscheinend bevorzugend, so gewalttätig konnte die Mutter sein, was beide stark geprägt hat. Und doch finden sie ihre Gemeinsamkeiten, was gewisse Vorlieben betrifft. Dabei spielen Sextoys, Unterwäsche und natürlich Männer eine Rolle.
Apropos Männer: Beide werden in dem Dorf, in dem ihr Elternhaus steht, fündig. Zumindest gibt es dort für jeden einen Interessenten. Sie erinnern sich an vergangene Geplänkel, wobei sie sich gegenseitig gerne eins auswischten. Hier kommt denn auch das Thema Hund ins Spiel. In Erinnerung des zunächst aus Fleisch und Blut bestehenden, muss nun einer aus der Phantasie herhalten.
Die Tochter der einen Schwester stammt
aus einer Liebschaft, die nicht fürs Leben gedacht war und ist doch
eine Bereicherung in diesem Wirrwarr von Familie. Da der Vater nicht
aus Deutschland stammt, darf die Tochter in den Ferien dessen Familie
besuchen und wird oft und reichlich verwöhnt. Ob sie nun bereit ist,
mit Mutter und Tante in einem Haus auf dem für sie platten Land zu
leben, das kann man nachlesen.
Es zeigt sich, dass der als leichte
Kost daherkommende Roman so einiges an Potenzial hätte, um tiefer in
das eine oder andere Thema einzusteigen. Das war aber wohl nicht die
Intention der Autorin, mir fällt es trotzdem auf. Und das Cover, das
gefällt mir ausgesprochen gut.
Mehr von der Autorin und ihrer Werke findet sich unter https://viola-eigenbrodt.de/
Schweige Still
Michael Robotham ist ein überaus
versierter Autor, dessen Romane in vielen Sprachen übersetzt wurden,
auch Verfilmungen gab es bereits. In „Schweige Still“ führt er
nun zwei weitere Protagonisten ein, neben vielen anderen, die er für
eine neue Reihe vorgesehen hat.
Da ist zunächst Cyrus Haven. Ein traumatisierter junger Mann, der aufgrund seiner Erfahrung Psychologie studierte und die Polizei bei der Aufklärung von Verbrechen hilft. Er ist ein wenig eigentümlich, wohnt in einem völlig heruntergekommenen Haus, dass er sich eigentlich nicht leisten kann. Außerdem benutzt er kein Smartphone sondern lässt sich ganz altmodisch mithilfe eines Pagers anfunken, um dann gegebenenfalls zurückzurufen. Es ist ein einfühlsamer Charakter, der Menschen schnell zu durchschauen vermag, aber auch nicht immer.
Er lernt Evie Cormac kennen, ebenfalls
eine zutiefst traumatisierte Person, noch sehr jung, wohl keine
achtzehn Jahre alt. So genau weiß das aber keiner. Sie kann
angeblich jeden beim Lügen erwischen. Das war und ist eine
Überlebensstrategie von ihr. Ob sie diese Begabung von Geburt an hat
oder durch ihre negativen Erfahrungen in jungen Jahren, werden wir
abwarten müssen.
Gut gefallen hat mir bei diesem
Psychothriller, dass der Autor den Figuren erlaubt, Fehler zu machen.
Und das nicht zu knapp. Hier passt eben nicht gleich alles zusammen,
greifen die Protagonisten oft daneben und sind dadurch für
Vorgesetzte beziehungsweise Vormund nicht eben leicht zu händeln.
Der eigentliche Plot des Falles gerät
da zunächst in den Hintergrund. Eine aufstrebende Eiskunstläuferin
wird ermordet. Jodie ist in der Schule der Star, gut aussehend,
fleißig, eine liebe Freundin. Trainiert wird sie von ihrem Onkel.
Die Familien stehen zusammen, doch der Sport ist auch teuer. Es gibt
eine Schwester und einen Cousin, die immer zurückstecken müssen,
angeblich ist das kein Problem. Cyrus soll helfen, Licht in die
Familienverhältnisse zu bekommen. Hat Jodie wirklich keine Drogen
genommen? Gab es da wirklich keinen obskuren Freund?
Gleichzeitig wird Cyrus von einem
ehemaligen Freund gebeten, Evie zu begutachten, die für Volljährig
erklärt werden möchte. Denn sie wurde aufgefunden, und zwar unter
wirklich grausamen Umständen. Keiner weiß, woher sie kommt, keiner
vermisst sie. Und sie traut keinem. Aus Pflegefamilien ist sie
entweder geflüchtet oder hinausgeworfen. So landet sie in einer
Anstalt, bei der sie mit vielen sehr leidenden anderen jungen
Menschen zusammenleben muss, das tut ihr nicht gut. Probeweise kann
Cyrus für sie sorgen und so wird sie unfreiwillig in den Mordfall
mit hineingezogen.
Interessante Fallstudien, gut
entwickelte Persönlichkeiten. Das Grauen, das Cyrus und Evie in
jungen Jahren erlebt haben, bekommen wir scheibchenweise serviert.
Für schwache Nerven ist das nun wirklich nichts.Wie sie das bisher
geschafft haben zu überleben, lässt einen an die Kraft der
Resilienz glauben. Manches scheint ein wenig zu viel zu sein und ich
bin gespannt, ob das funktionieren kann, mit den Beiden. Auf jeden
Fall ein Lesegenuss für die Leserschaft, die diese Art von Thrillern
mag.
Es gibt sicher eine Fülle von Einträgen im Netz, hier soll nur der Wikipediaeintrag zum schnellen Einlesen reichen: https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Robotham
In einer regnerischen Nacht
Als ich dieses doch etwas ältere Buch
von Jodi Picoult „In einer regnerischen Nacht“ von einer Freundin
bekam, dachte ich zunächst, nun ja, eine Liebesgeschichte. Aber so
einfach war es dann doch nicht.
Folgende Themen werden hier zur
Diskussion gegeben: Ehebruch, Tötung auf Verlangen, die Gesetze der
Familie, Ehre, Traditionen, die Macht der Computerspiele, Gegner vor
Gericht, Krebserkrankung und natürlich die Liebe.
Dabei gefällt mir außerordentlich
gut, wie die Sichtweisen der einzelnen Protagonisten zur Sprache
kommen. Ob es die lange unwissende Ehefrau ist, die Frau des
Clanchefs und Polizeiobersten des Dorfes. Sie fällt aus allen
Wolken, als sie vom Ehebruch erfährt und ihre Reaktion darauf ist
herrlich überraschend. Und da ist der Clanchef selbst, der doch
eigentlich um die Welt reisen möchte, aber nun als Oberhaupt der
Familie alles zusammenhalten muss. Er verliebt sich in die
Angestellte seiner Frau und weiß nicht wohin, mit seinen Gefühlen.
Er muss seinen Cousin verhaften, der seiner Frau versprochen hat, sie
zu töten, wenn es mit ihrer Krebserkrankung einfach zu schlimm wird.
Jamie begibt sich ganz bewusst in Camerons Hände, denn so will es
das Familiengesetz, er muss ihm helfen.
Cameron und seine Familie stammen aus
der alten Welt. Sie sind vor Jahrhunderten nach Amerika ausgewandert,
als der damalige Clanchef sich nicht anders zu helfen wusste, als das
gesamte Dorf vor den Kriegsparteien zwischen Engländern und Schotten
sowie verschiedenen Glaubensrichtungen zu retten. Und diese
Rückblenden, hervorgerufen von Camerons Mutter und dem ältesten
Onkel, erinnerten mich an die Serie Game of Thrones. Dieses
festhalten an alte Traditionen, Ehre und Rituale wird auch heute noch
von den Angehörigen hoch gehalten. In dieser Zwickmühle steckt nun
Cameron und mit ihm alle Beteiligten.
Wie nun vor Gericht mit den Anwälten
und dem Richter gefochten wird, Weggefährten von Jamie und seiner
Frau zu Wort kommen, die Gründe für die unfassbare Tat, das ist
sehr rührend. Dabei kommt auch der Job von Jamie zur Sprache: er
programmiert mit einem Freund und großem Team Computerspiele,
virtuelle Realitäten für Firmen und mehr. Tragisch ist, dass Jamies
Frau in dieser virtuellen Welt für immer eine Rolle spielt. Mit ein
Grund, warum sie den Tod auf Verlangen von ihrem Mann fordert?
Verloren haben alle Parteien, doch ob sie etwas für die Zukunft
haben lernen können, das muss man schon selbst lesen. Unterhaltsam
geschrieben, durchdacht und gefühlvoll.
Im Internet gibt es noch mehr von der Autorin unter anderem eine Leseprobe bei Thalia.
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